Die Neugründung unseres Dorfes Kelze lag im Jahr 1999 300 Jahre zurück. Das Dorf wurde mit der zweiten Einwanderungswelle französischer Flüchtlinge im Jahre 1699 gegründet. Die Flüchtlinge siedelten an einer Stelle, wo bereits im Mittelalter ein Ort, nämlich Oberkelze, 3,5 Km südwestlich von Hofgeismar, gelegen hatte. Kelze ist also nicht wie die anderen Siedlungen nach dem Landgrafen Carl wie Carlsdorf oder analog Mariendorf nach der Landgräfin Marie benannt worden, sondern wurde von der Wüstung Oberkelze übernommen und dann nur Kelze genannt. Es gab in der Nähe auch ein Niederkelze, das die Bewohner ebenfalls im ausgehenden Mittelalter verlassen haben. Woher der Name Kelze kommt, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Eine mögliche Erklärung könnte das lateinische Wort calix sein, was im Deutschen soviel wie Kelch oder Becher bedeutet. Wenn Kelze vom Kelzerberg aus betrachtet wird, so ähnelt das im Tal gelegene Dorf wirklich einem Kelch.
Wer waren die ersten Siedler und woher kamen sie?
Die 33 Gründerfamilien des neuentstehenden Kelze hatten vor ihrer Ankunft in Hofgeismar eine lange und beschwerliche Reise hinter sich. Sie gehörten zu der vierten Brigade, auch Maigre-Brigade, nach ihrem Führer Pierre Maigre benannt, die im Jahre 1699 in Hessen-Kassel ankam. Der Kern der Brigade stammte wie ihr Anführer Maigre aus Orpierre, im Dauphiné gelegen. Nach einer Auswertung der Hofgeismarer Kirchenbücher kann festgestellt werden, dass von den 161 Flücht- lingen, die sich in Kelze niederließen, 63 % aus Südfrankreich und nur 13 % aus Nordfrankreich stammten. Die Herkunft der restlichen 24 % ist nicht genauer zu bestimmen.
Die Erstsiedler hatten ihre Heimat vermutlich kurz nach der Aufhebung des Edikts von Nantes im Jahre 1685 verlassen, um in der benachbarten Schweiz Zuflucht und Schutz zu suchen. Sie hofften insgeheim, bis zum Jahre 1697 wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können. Im Friedensvertrag von Rijswijk sicherte der Herzog von Savoyen in einer Geheimklausel dem König von Frankreich zu, alle Flüchtlinge des Landes zu verweisen. Nun begann eine Irrfahrt der Kelzer Erstsiedler, die erst im Sommer des Jahres 1699 in Hessen-Kassel enden sollte.
Die Suche nach einer Niederlassung
Als die Brigade Maigre im Juni des Jahres 1699 die Grenze zu Hessen-Kassel überschritten hatte, kam es zu erheblichen Problemen und Schwierigkeiten.
Maigre hatte vor, sich mit seiner Brigade in Wolfhagen niederzulassen. Er musste aber erfahren, dass sich bereits Jouvencel in Wolfhagen eingefunden hatte und sich ebenfalls mit seiner Brigade dort niederlassen wollte. Vultejus, ein von Landgraf Carl beauftragter Rat, der die Ansiedlung der vier Brigaden vorbereitete und durchführte, schlug Maigre vor, sich in Hersfeld oder Hofgeismar niederzulassen. Es entstand ein Streit zwischen Jouvencel und Maigre, der einen Monat andauerte. Am 1. Juli 1699 konnten endlich die Streitigkeiten um den Siedlungsraum beigelegt werden. Das Ergebnis war, dass Jouvencel in Wolfhagen blieb und Maigre von Homberg/Efze weiter nach Hofgeismar zog. Bereits am 4. Juli 1699 wurde von dem landgräflichen Beauftragten Jean Robert in Anwesenheit des landgräflichen Kammerrates Heilmann eine Kolonieliste der Brigade Maigre zusammengestellt. Dieser Liste zufolge waren 105 Flüchtlinge unterzubringen, die sich selbst versorgen konnten, und 26 Arme, die Nahrungsmittel und Unterstützung brauchten. Die insgesamt 131 Flüchtlinge sollten von Hofgeismar aus so schnell als möglich in dem ehemaligen Oberkelze eine endgültige Heimat finden.
Planung, Bau und Besiedlung der Hugenottensiedlung Kelze
Mit dem Bau der Häuser wurde bereits im selben Jahr begonnen. Die Anlage des Dorfes und die Verteilung der zur Verfügung stehenden Ländereien, die zunächst in zehn gleiche Portionen vermessen worden waren, erfolgte nach einem von Landmesser Grimmel aufgezeichneten Plan. Der Grundriss der neuen Kolonie hatte Kreuzform. Zwei sich kreuzende Straßen sollten von beiden Seiten besiedelt werden. An der Kreuzung, also im Zentrum des Dorfes, waren der Standort der Kirche, der Schule und des Lehrerhauses vorgesehen.
Nach einem Jahr waren bereits 14 Häuser erbaut worden. Die Gemarkung des ehemaligen Oberkelze wurde nun endgültig in 40 gleich große Parzellen aufgeteilt. Im Jahre 1701 wurde die Anzahl der Familien in Kelze auf 30 begrenzt, da das zur Verfügung stehende Land nicht ausreichte. Die acht Familien, die aus Kelze wegziehen mussten bekamen eine geldliche Entschädigung für das von ihnen gerodete und bewirtschaftete Land. Noch im selben Jahr erhielten die Kelzer Kolonisten eine Viehweide, die am Langenberg gelegen war. Trotz der oben beschriebenen Maßnahmen, die knapp bemessene Feldflur optimal zu nutzen und zu vergrößern, blieb die Existenzgrundlage auf dem landwirtschaftlichen Sektor der Kelzer Siedler gering. Hinzukam, dass Teile des zugewiesenen Landes erst urbar gemacht werden mussten. Keine der hugenottischen Siedlungen hatte im Altkeis Hofgeismar so wenig Weidefläche wie die Kelzer Flüchtlinge. Durch diesen Notstand sahen sich die Kelzer gezwungen, ihr Vieh sogar in den Kelzer Wald zur Weide zu treiben, wo es vom Niedermeiser Förster gepfändet wurde. Um das Vieh wieder auszulösen, mussten die Siedler Geldbeträge bezahlen. Nach diesem Vorfall gestattete der Eigentümer des Forstes, der Herr von der Malsburg, gegen eine Abgabe, das Weiden der Kelzer Kühe in seinem Wald. Doch ohne die Hilfeleistungen des Landgrafen hätten die Erstsiedler in Kelze die entbehrungsreichen Anfangsjahre wohl kaum überstehen können. Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, genossen die Kelzer in den Anfangsjahren, genauso wie die anderen Siedlungen auch Abgabe- und Steuerfreiheit. Des Weiteren wurde ihnen kostenlos Baumaterial für die Häuser, Schule, Scheune und Kirche zur Verfügung gestellt. Arme, schwache und kranke Menschen erhielten gesonderte Beihilfen.
Anmerkung: Das oben aufgeführte Kapitel über die Kelzer Hugenottenkolonie ist eine zusammengefasste und paraphrasierte Form eines Aufsatzes von Jochen Desel, der in der Schriftenreihe der evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck Monographia Hassiae, Hugenotten und Waldenser in Hessen-Kassel, auf den Seiten 189-197 zu finden ist.
(Marc Jean Löwenstein)
Quelle: Berndt, Gabriele: 300 Jahre Hugenottendorf Kelze 1699 – 1999 : … wie lebten sie damals … ; … wie leben wir heute . …